In diesem Krimi fachsimpeln die Figuren sehr viel über die Elementarteilchen- und die Quantenphysik. Die Dialoge klingen zum Teil so, wie sich die Nerds aus »Big Bang Theory« wohl ein romantisches Date vorstellen. In einem Restaurant kommt die Ermittlerin mit einem Wissenschaftler ins Gespräch, den sie vorher an einer Ampel angelächelt hat, als sie einen Zettel mit dem Bild einer vermissten Katze aufgehängt hat. Nun knistert es über die Esstische hinweg.
Sie: »Und? Kommst du wenigstens weiter?«
Er: »Nee, ich such auch was.«
Sie: »Was suchst du?«
Er: »Äh, den Ort, an dem sich Quark-Antiquark-Paare bei Protonen-Antiprotonen-Kollisionen aufhalten. Das Problem ist, dass das gesuchte Teilchenpaar nach extrem kurzen zehn Vierundzwanzigstelsekunden zerfällt.«
Sie: »Aber laut Heisenberg'scher Unschärferelation ist es doch gar nicht möglich, den genauen Aufenthalt eines Elementarteilchens zu bestimmen.«
Er: »Du kennst dich aus in Quantenphysik?«
Sie: »Die theoretische Teilchenphysik find ich ganz spannend. Aber viel leidenschaftlicher bin ich in der Beobachtung und Analyse menschlichen Verhaltens. Zum Beispiel frag ich mich, wie sich zwei völlig fremde Menschen an der Ampel treffen, ins selbe Restaurant gehen und sich dann auch noch gegenüber voneinander hinsetzen.«
Der gespreizte Schlagabtausch führt zum Hauptproblem dieses »Polizeirufs«: Die Dialoge sind dermaßen ambitioniert, dass die bescheidene Handlung so wirkt, als habe man sie sich nur ausgedacht, um die Zeit zwischen diesen Dialogen zu überbrücken.
Im Zentrum steht eine Katze, die einer alten Dame namens Frau Schrödinger entlaufen ist und zum zentralen Faktor in einem Fahrerflucht-Fall wird. Polizeioberkommissarin Elisabeth »Bessie« Eyckhoff (Verena Altenberger) ist gleich doppelt in das Geschehen involviert: Sie versucht den Verantwortlichen für den Tod des Unfallopfers zu finden, und sie hilft Frau Schrödinger dabei, das verschwundene Haustier aufzuspüren. Dass das eine mit dem anderen zu tun hat, weiß am Anfang nur das Publikum, das sich wohl so fühlen soll, als schaue es bei diesem Krimi einer raffinierten Versuchsanordnung zu.
Wer beobachtet, beeinflusst auch
Der Episodentitel »Frau Schrödingers Katze« bezieht sich sowohl auf den Miez-Miez-Krimiplot als auch auf ein Gedankenexperiment des Forschers Erwin Schrödinger, dem Begründer der Quantenmechanik. Mit dem Experiment wollte er beweisen, wie der Mensch schon über seine Gedanken Geschehnisse mitgestaltet. Das ist es, was jetzt auch Polizistin Eyckhoff widerfährt: Indem sie der alten Frau dabei hilft, über Plakate die entlaufene Katze wiederzufinden, setzt sie einen Mechanismus in Gang, der später zu dem Unfall mit Todesfolge führt. Dabei hätte Heisenberg-Kennerin Eyckhoff vorher wissen können: Wer nur beobachtet, beeinflusst schon, was er beobachtet.
Christine Schroeder / Radio Bremen
Das mag auf dem Papier spannend klingen, aber im fertigen »Polizeiruf« (Regie: Oliver Haffner) geht die Idee nicht auf. Ungünstig in der Wahrnehmung des Krimis mag sich auch auswirken, dass die vorherige »Polizeiruf«-Folge aus München ein berauschender Entfesselungsakt war: Regisseur Dominik Graf ließ das Team saufen und singen, betrügen und randalieren und zerlegte dabei die Kernmannschaft des Reviers. Damals hatte sich auch noch mal gezeigt, was für eine sensationelle Schauspielerin Verena Altenberger ist, weil sie ihre »Bessie« Eyckhoff mit federleichter Grandezza durch alle Abgründe spazieren ließ.
Altenberger spielt zwei Jahre später immer noch mit dieser Leichtigkeit, aber letztendlich scheitert auch sie an den Dialogen, die sie wie schwere Ketten nach unten ziehen. Dabei hatte Drehbuchautor Clemens Maria Schönborn zuvor mit »Hit Mom« mal eine souveräne Thriller-Groteske vorgelegt, für die er die Eskalationsmechanik, wie man sie aus »Fargo« kennt, in den deutschen Primetime-Fernsehfilm holte. »Frau Schrödingers Katze« wirkt nun über weite Strecken wie ein Schmalspur-»Fargo« mit viel zu viel Schwafelballast. Dann lieber 20 Minuten »Big Bang Theory«.
Und so schleppen wir uns leicht erschöpft in die große Sommerpause. Der nächste neue ARD-Sonntagskrimi läuft Ende August.
Bewertung: 3 von 10 Punkten
»Polizeiruf 110: Frau Schrödingers Katze«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste
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