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Geldausgeben optional: Live-Service-Game „Helldivers 2“ - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

In diesem Text soll es eigentlich um ein Onlinespiel gehen, in dem man in die Rolle eines Soldaten schlüpft, der im Dienst einer faschistischen „Super Erde“ mit einem Waffenarsenal, das seinesgleichen sucht, Insekten oder Roboter bekämpft. Doch um zu verstehen, was genau „Helldivers 2“ vom schwedischen Entwicklerstudio Arrow­head so besonders macht, muss man sich mit der Geschichte von Videospielen befassen und dem Zustand, in dem sich die Industrie befindet.

Computerspiele haben sich in den letzten 30 Jahren nicht nur grafisch und erzählerisch verändert. Auch die Art, wie Geld mit ihnen verdient wird, hat sich entwickelt. Ganz früher ging man in ein Geschäft und kaufte eine Box mit Disketten oder einer CD, auf der das Spiel gespeichert war. War es ein großes Spiel, eines wie „Command and Conquer“ zum Beispiel, gab es Erweiterungen. Dann musste man wieder in ein Geschäft und noch eine CD kaufen. Entwicklerstudio und Publisher verdienten also Geld mit den Verkaufserlösen des Spiels.

Mit dem breitbandigen Internet kamen dann Spiele, die man online kaufen und herunterladen konnte – und Erweiterungen hießen irgendwann „DLC“, für Down­loadable Content. DLCs kamen schnell in Verruf, denn oft entstand der Eindruck, man kaufe ein halbes Spiel zum vollen Preis. So wurde aus dem Spiel, mit dem ursprünglich nur einmal Geld verdient wurde, eine Quelle stetigen Umsatzes.

Mit dem Aufkommen der Smartphones folgte die nächste Revolution: die sogenannten Mikrotransaktionen. Man kauft sich keine großen Erweiterungspakete mehr, sondern für einen vermeintlich kleinen Preis Phantasiewährungen. Für diese wiederum bekommt man dann alles Mögliche: ein neues Kostüm für den Spielercharakter, schnelleren Stufenaufstieg, Extraleben. Der Gier der Publisher sind keine Grenzen gesetzt. Damit fand auch ein Wechsel beim Spieldesign statt: die Games wurden zunehmend um das Prinzip der Mikrotransaktion herum gebaut. Die Generierung des Umsatzes folgt grob dem Pareto-Prinzip, etwa 20 Prozent der Spieler sind also für 80 Prozent des Umsatzes verantwortlich. Für Spieler, die besonders viel Geld ausgeben, hat die Spieleindustrie sogar den Begriff „Whales“ aus der Welt der Kasinos übernommen. Es geht darum, die Wale zum Zahlen zu bringen.

2017 brachte das Studio Epic Games das Spiel „Fortnite“ auf dem Markt, das dieses Geschäftsmodell der sogenannten Live-Service-Games zum mittlerweile dominierenden Modell in der Spiele­industrie machte: Bei „Fortnite“ kann man mit der Phantasiewährung V-Bucks Outfits oder besondere Lackierungen kaufen, Spitzhacken oder Hängegleiter. Auf diese Weise machte das Spiel im Jahr 2023 einen Umsatz zwischen 5 und 5,5 Milliarden US-Dollar, 4,5 Milliarden US-Dollar davon allein durch den Verkauf der V-Bucks.

Verständlicherweise versuchten andere Publisher, den Erfolg von „Fortnite“ zu kopieren. Die resultierende Schwemme von Live-Service-Games ist aber eines der größten aktuellen Probleme der Computerspieleindustrie: Denn Live-Service-Games sind nicht gut. Sie sind das komplette Gegenteil von dem, was Computerspiele sein sollten. Statt interessante Geschichten zu erzählen und innovative Spielkonzepte zu entwickeln geht es nur noch darum, Spieler in die nächste Mikrotransaktion zu locken.

Lauter lieblose Machwerke

Die gute Nachricht ist: Große Studios scheiterten und scheitern mit ihren Versuchen, mit Live-Service-Games Fuß zu fassen, und verbrennen dabei unfassbar viel Geld. Im September 2020 erschien „Marvel’s Avengers“, ein Spiel, in dem man in die Haut bekannter Superhelden wie Captain America und Iron Man schlüpfen konnte. Nach Schätzung von Analysten hat die Entwicklung des Spiels 170 Millionen US-Dollar gekostet. Spieler sollten Geld für neue Kostüme oder Gegenstände ausgeben, die im Spiel temporär Boni verleihen. Aber „Marvel’s Avengers“ ist ein liebloses Machwerk, in dem es nichts zu tun gibt, außer in den immer selben Missionen die immer selben Gegner abzuschlachten. Knapp zweieinhalb Jahre nach der Veröffentlichung kündigte der Entwickler Crystal Dyamics an, den Support für das Spiel einzustellen, seit September 2023 kann man es auch nicht mehr online kaufen. Anfang des Jahres scheiterte das Spiel „Suicide Squad: Kill the Justice League“ spektakulär. Dem Piraten-Spiel „Skull and ­Bones“, das zehn Jahre lang entwickelt wurde und 200 Millionen US-Dollar gekostet haben soll, geht es ähnlich.

Umso erstaunlicher, dass mit „Hell­divers 2“ nun ein Live-Service-Game erschienen ist, das unfassbaren Spaß macht und in dem das Ausgeben von Geld vollkommen optional ist. Zur Geschichte: Irgendwann in der Zukunft ist die Menschheit vereint unter dem Banner der „Super Erde“. Die Galaxie wurde durch die Menschheit kolonisiert, alle Autos sind elektrisch, alle Häuser haben Photovoltaikanlagen auf dem Dach und Wärmepumpen an der Wand, und alle Menschen sind glücklich, denn sie leben in einer „Managed Democracy“. Es gibt Wahlen, aber statt einen Kandidaten zu wählen, beantwortet man einem Computer ein paar Fragen – und dieser trifft dann die Entscheidung. Und um sicherzustellen, dass alle gewählten Vertreter im Sinne von „Super Erde“ handeln, werden sie vom „Democratic Council“ kontrolliert.

Alles schön satirisch

Kurz, die Menschheit lebt in einer xenophoben, faschistischen Diktatur, deren Sprache im orwellschen Sinne so verändert wurde, dass sie sich selbst als freiheitlich und demokratisch beschreibt. Das alles wird dabei so satirisch und überzogen dargestellt, wie man es aus Paul Verhoevens „Starship Troopers“ kennt, bei dem das Spiel ohnehin starke Anleihen genommen hat.

Die wie Superhelden verehrten Hell­diver sind die Elitesoldaten „Super Erdes“. Einen solchen spielt man in „Helldivers 2“. Mit bis zu drei anderen Spielern kämpft man sich durch verschiedene Missionen und trifft dabei auf computergesteuerte Gegner verschiedenster Größen. Zu deren Beseitigung steht einem ein Arsenal diverser Waffen zur Verfügung, von klassischen Maschinengewehren über Flammen- und Raketenwerfer bis zu futuristischen Laserkanonen. Wem das alles nicht reicht, der kann durch spezielle Tastenkombinationen sogenannte Stratagems aktivieren. Hoch im Orbit befindet sich der „Super Zerstörer“, und dieser entsendet auf Anforderung des Helldivers Bomber, Geschütztürme oder greift direkt per Orbitalschlag ins Geschehen ein. Die zufällig generierten Karten und optionalen Missionsziele machen die Spiele abwechslungsreich. Dank dem gemeinschaftlichen Ziel ist die Stimmung sehr kooperativ, allein das ist schon außergewöhnlich, denn oft genug werden Onlinespiele von Internet-Trollen oder beleidigendem Verhalten geplagt.

Wie in einem guten Rollenspiel

Was „Helldivers 2“ aber wirklich herausstechen lässt, ist Arrowheads Umsetzung des Live-Service-Prinzips. Die Handlung entwickelt sich organisch und spontan – wie in einem guten Rollenspiel. In regelmäßigen Abständen gibt es Spezialmissionen, sogenannte Generalbefehle, in denen etwa bestimmte Planeten erobert oder verteidigt werden müssen – ein bisschen wie die Aufträge beim Brettspiel „Risiko“. Hinter diesen Generalbefehlen steckt der Arrowhead-Mitarbeiter „Joel“, der wie der Spielleiter bei „Dungeons and Dragons“ die Strippen zieht. Die Frontabschnitte entwickeln sich dynamisch, Joel kann auch einstellen, wie leicht oder wie schwer bestimmte Missionen sind und welche Art von Gegnern auftauchen. Oft werden neue Gegner vorher nicht angekündigt. So staunten die Spieler nicht schlecht, als sie ohne Vorwarnung von fliegenden Insekten angegriffen wurden. Ob es diese überhaupt geben kann, wurde dann kontrovers auf Youtube und Reddit diskutiert.

Wenn man möchte, kann man in „Helldivers 2“ auch echtes Geld ausgeben. Regelmäßig gibt es neue Kataloge mit Zusatzinhalten, die sogenannten Kriegsanleihen. Um sie freizuschalten, benötigt man je 1000 Über-Credits, die wiederum kosten rund 10 Euro. Die Gegenstände selbst kann man dann aber mit kostenlosen Medaillen bezahlen, die man für das erfolgreiche Abschließen von Missionen erhält: neue Waffen, Rüstungen oder bestimmte Bewegungen wie Siegerposen.

Oder, ganz wichtig: Capes. Denn kein Helldiver zieht ohne Cape in die Schlacht. Theoretisch kann man sich sogar die Über-Credits erspielen, man findet sie auch während der Missionen, zugegebenermaßen in homöopathischen Mengen. Es ist aber grundsätzlich sehr sympathisch, dass sich alle Spielinhalte alleine durch das Spielen freischalten lassen. Es ist erkennbar, dass Arrowhead hier zunächst ein Spiel entworfen und sich erst dann überlegt hat, wie man damit Geld verdienen kann – nicht umgekehrt.

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